Über die Unwissenheit   (Lo que es la ignorancia)

   

“ Como es más lo que ignoras que lo que sabes, no hables mucho”  (R. Lulio)

 

    So beginnt ein Cante por Soleares, und so beginne ich dieses Protestschreiben zum Interview mit Carmen Linares in der Peña “Los Cabales” in Frankfurt am 4.11.95 (¡anda! Nº 9, Seite 23). Hier wurde eine Frage gestellt, die die Unwissenheit bekundet, welche die Herr. Anken im Thema Cante Flamenco besitzt. Die Frage lautete folgendermassen:

 

    “Wie erklärst Du Deinen grossen Erfolg als Cantaora, obwohl Du keine Gitana Bist?”

 

    Ich ware gerne dabeigewesen, um das Gesicht zu sehen, das Carmen Linares dabei gemacht hat. Die Antwort von Carmen war einmalig, als wenn sie nur auf einen Augenblick wie diesen gewartet hätte. Sie hatte Feuer im Herzen, weil diese Frage einen Mangel an Respekt gegenüber dieser Cantaora und einen Mangel an Wissen über die Kunst des Flamenco darstellt.

    Ich möchte der Herr. Anken, und auch, der ¡anda! Redaktion gerne einen kleinen Rat und auch etwas von meinem eigenen armseligen Wissen über den Cante Flamenco Payo geben, damit sie in Zukunft, bevor sie Fragen stellt, ein bischen mehr weiss über den Flamenco der Nichtzigeuner, denn,wie Carmen in ihrer Antwort sagt:

 

“Der Flamenco kommt aus Andalusien. ...”

“Der Flamenco ist nicht nur für eine besondere Rasse bestimmt”.

 

    Der Rat ist, bevor Ihr ein Interview macht, diese Arbeit auch vorzubereiten und die Fragen aufzuschreiben, die Ihr stellen wollt, damit nicht wieder so ein Ausrutscher passiert wie der in Frankfurt. Um über Flamenco Bescheid zu wissen, muss man mehr über dieses Thema lessen. Für uns Spanier ist es schon schwierig, aber für Eich ist es noch schwieriger. Bevor ich fortfahre, muss ich eine Frage stellen, weil sie das Unbekannte der Natur des Cantes betrifft. Die Frage ist :

 

    Ist der Cante Flamenco von Zigeunern, ist er aus Andalusien, ist er jüdisch, ist er maurisch, ist er arabisch?

 

    Zu dieser Frage gibt es viele Theorien, jede in einer Färbung und einem Tom, der ziemlich umstritten ist, das Thema ist ja auch reichlich delikat, aber es erhebt sich kein Zweifel darüber, dass diese Kunst andalusisch ist, obwohl sie etwas hat von all diesen orientalischen Völkern, die zur Iberischen Halbinsel und besonders nach Andalusien gelangten.

    Eine dieser Theorien, die ich vorstellen möchte, ist die von Manfredi Cano, der zusammen mit anderen Autoren zum Andaluzismus des Gesanges tendiert. Manfredi schreibt:

 

    “Die Gitanos erlernten den Cante Jondo, indem sie mit Andalusiern zusammenlebten, und später präsentierten sie ihn dem Publikum als sei er ihre eigene Sache. Wenn es umgekehrt gewesen ware, also die Gitanos den Andalusiern das Singen beigebracht hätten, sängen doch auch die Zigeuner in anderen spanischen Regionen jondo und Flamenco – dem ist aber nicht so.”

    Was man nicht leugnen darf, ist der Beitrag, den die Gitanos zum Cante Jondo machten, indem sie ihm mit den andalusischen Gesängen und Volkstänzen, der andalusischen Folklore, die Form gegeben haben, die wir heute kennen; aber genauso wenig darf man den Einfluss der anderen eben genannten Rassen vergessen, die jüdische, die maurische, die arabische, aber auch die Indianer Amerikas oder die Liturgie. Diese paar Worte über die Geschichte des Cante sind nicht mehr als Notizen. Man könnte ein ziemlich dickes Buch darüber schreiben und doch nicht fertig werden, also woollen wir noch etwas Platz einräumen, um über die Interpreten zu schreiben. Ich werde von Ihnen nur einige der bekanntesten Beispiele auswählen, die wahrhaftige Meister des Cante Flamencos gewesen sind. Einige gibt es schon nicht mehr, andere bestreiten heute noch ihre Kunst, wie jene Dame aus dem Interview – Carmen Linares.

    Gehen wir zunächst nach Jerez de la Frontera, das singende Land par excellance, und finden dort drei Stützpfeiler des cante payo jerezano, die da wären: El Marruro, El Loco Mateo und der Señor Manuel Molina, alle stammen aus dem Viertel San Miguel.

 

“... Drei Jerezaner Cantaores gachos ( Nichtzigeuner) aus dem 19. Jahrhundert ragen aus der Geschichte des Cante Flamenco wie drei Säulen des wahrhaftigsten Cante por Siguiriyas.”

 

 (Aus: De cantes y cantaores de Jerez” von Manuel Ríos Ruiz. Editorial Citerco, Madrid 1989. S.49.)

 

    Der Payo und Sänger aus Jerez Diego El Marruro, Künsrlername von Diego López, wird von Ricardo Molina für einen ‘berühmten Schöpfer’ gehalten:

 

    “Den Cante von Marruro versuchen viele nachzumachen, aber wenige machen es gut...”

 

     Über El Loco Mateo, eine weiteren Payo und Sänger aus Jerez und Bruder der Loca Mateo, resümiert Juan de la Plata in seinem Buch “Flamencos de Jerez”:

 

    “Dieser berühmte Künstler, bekannt auch als Mateo El Jerezano, war der beste Soleares – Interpret aller Zeiten. Mateo war ein extrem sensibler und nervöseer Mensch. Er litt mit seinen eigenen Gesängen: während er sie interpretierte, weinte er wie ein Kind”.

 

     Demófilo, definierte in der Künstlerliste, die in seiner “Colección de Cantes Flamecos” (1881) enthalten ist, El Loco Mateo als Sänger der Siguiriya.

    Señor Manuel Molina, Payo und Sänger aus Jerez, 19. Jahrhundert:

 

    “Er ist eingehüllt in Legende, dokumentierte Daten seiner Existenz gibt es nicht. Das Einzige was sicher geblieben ist, ist die Grösse seines Gesanges übermittelt durch seine treue Gefolgschaft, die ihn für einen der bedeutendsten Schöpfer und Interpreten aller Zeiten hielt.”               

 

    Don Antonio Chacón García, Payo und Sánger aus Jerez (1869-1929), der grosse Don Antonio, war einzige Sánger in der Geschichte des Flamenco, der den Titel “Don” tragen durfte, eine Persönlichkeit der Kunst des Flamenco, ein “Grande de España”. Mit Chacón, seinem Leben und seiner Kunst könnte man die ganze Zeitschrift ausfüllen, daher nur einige einfache Worte von Gonzalez Carvajal:

     “Chacón war der vollkommenste Gänger aller Zeiten, so vollkommen, dass selbst die Gitanos die Überlegenheit des Jerezaners zugaben.”

 

    Als Enrique el Mellizo, ein Gitano aus Cádiz, zum ersten mal Don Antonio Chacón singen hörte, legte er ihm die Hand auf die Schulter, schaute ihm tief in die Augen und sprach:

 

    “Mein Sohn... Dich werden sie eines Tages den Papst des Gesanges nennen... Das sage ich Dir, Enrique el Mellizo, und ich weiss, wovon ich spreche.” 

 

     Aurelio de Cádiz, Künstlername von Aurelio Sellés Nondedeu (Cádiz, 1887-1974), payo und Sänger, war auch bekannt als El Tuerto Aurelio und gallt als ein othodoxer Sänger aus der Schule von Cádiz. Manuel Ríos Ruiz beschreibt diesen Gaditaner Sänger, der während der Krönungsfeierlichkeiten von Königin Elisabeth von England sang, mit folgenden Worten:

 

    “Aurelio ging in die Geschichte des Flamenco ein als ein Payo Maestro de Cante puro”, besonders in den Stilen, die ursprünglich aus seiner Heimat kommen. Er war eine Art Institution in einer Epoche, die Sänger wie ihn benötigte, als Bewahrer von unverwechselbaren und alten Flamencoweisen”.

 

    José Nuñez Meléndes, bürgerlicher Name von Pepe el de la Matrona, geboren 1887 in Triana (Sevilla) und gestorben 1980 in Madrid. Manuel Ríos Ruiz schreibt ubre ihn:

 

    “Ausserdem ist Pepe de la Matrona der unumstrittene Meister des Cante Jondo in seiner ältesten Form”.

 

    Tia Anica la Piriñaca, Künstlername von Ana Blanco Soto (Jerez, 1899-1987), Paya und Sängerin aus dem Viertel San Miguel. Wenn diese Frau gut sang, dann schmeckte ihr Mund nach Blut. Nach dem Tode ihres Mannes trat sie auch öffentlich auf und machte das Singen zu ihrem Beruf. Vorher sang sie nur auf Familienfesten und bei anderen Festivitäten. José Luis Ortiz Nuevo, der ihre Memoiren schrieb, sagt:

 

    “...eine grosse Bewahrerin des Stiles aus Jerez, speziell in den Cantes por Soleares und den Siguiriyas von Tio José de Paula”.

 

    Weiter geht es mit dem gossen Silverio, Künstlername des Silverio Franconetti Aguilar (Sevilla 1831-1889), Payo und Sänger, Sohn eines Italieners und einer Spanierin. Er war ein Sänger, der zur damaligen Zeit in allen grossen Hauptstädten, speziell in den andalusischen, Konzerte gab. In einigen der Städte verdiente er sich den Titel “König der Sänger”. Der Poet Federico García Lorca sagte, er sei der grösste Künstler der Arte Flamenco und widmete ihm ein Sonett:

 

“ Zwischen Italiener

und Flamenco,

wie nur vermochte er singen,

dieser Silverio?

Der zähflüssige Honig aus Italien,

mit Zitrone,

ging er in die Tiefe weinend

des Siguiriyeros.

Sein Schrei war furchbar.

Die Alten

Erzählen, dass sich die Haare sträubten,

und dass das Quecksilber

der Spiegel sich öffnete.

Er ging über die Töne

ohne sie zu zertören,

er war ein Schöpfer

und ein Gärtner,

ein Schöpfer der Lauben

für die Stille...”

 

    Man könnte über Silverio noch viel mehr schreiben, aber ich möchte noch einige Namen von Payos nennen, die genauso sangen wie die Englein im Himmel, damit die Herr Anken wissen dass die Geschichte des Cante schon immer von Payos und Gitanos gemacht wurde, und das wird auch in Zukunft so sein. Aber ich möchte auch, dass das was ich schreibe, in vielen Köpfen der Aficionados bleibt, dass nämlich nicht alle gitanos Flamenco singen. Nur die, die sich im tiefen Andalusien niederliessen, waren es, die etwas dieser Kunst hinzufügten. Zum Beispiel die aus Cádiz und Sevilla bis hin nach Jerez, Triana, Utrera, Lebrija und einige Kernorte mehr aus diesen zwei lezteren Provinzen.

    Die kleine Liste der überragenden Sänger die Payos waren, ist natürlich nur eine sehr reduzierte Liste. Aber wen die Herr Anken mehr über Sänger und Sängerinnen, die Payos waren, wissen möchte, kann mal einen Blick in das “Diccionario Enciclopedico Ilustrado del Flamenco” von Ríos Ruiz und Blas Vega werfen. Auch gibt es ein Buch mir dem Namen: Los Payos también cantan Flamenco” von Pedro Camacho Galindo (Edition Demófilo, Madrid 1977).

        Hier kommt die Liste: El Canario, Rojo el Alpagatero, Fosforito de Cádiz, José Cepero, Bernardo el de los Lobitos, Pepe Pinto, Pericón de Cádiz, Pepe Marchena, Juanito Valderrama, Luis Caballero, Alfredo Arrebola, Chano Lobato, Antonio Fernández (Fosforito), Enrique Morente, José Menese, Flecha de Cädiz, Caxlito Sánchez und auch Carmen Linares. Es gibt noch sehr viel mehr, die Liste würde kein Ende nehmen. Aber ich glaube, mit dem, was ich gescgrieben habe, wird man sich vorher gut überlegen, welche Art von Fragen gestell werden. Ich möchte auch, dass alle Aficionados endlich begreifen: der Flamenco ist andalusisch. Obwohl er heutzutage immer mehr internationalisiert wird, wie zum Beispiel in Japan, wo es Sänger, Gitarristen und TänzerInnen gibt, oder in Frankreich, wo man fast mehr flamenco sieht, als in Andalusien, und in Deutschland ist ebensoviel Afición wie in jeder anderen spanischen Stadt. Deswegen darf man nicht ignorant gegenüber de Geschichte des Flamenco sein und sie nur einer Rasse zuschreiben, die auf der ganze Welt verbreitet ist, aber nicht überall Flamenco singt, nur die Gitanos im tiefen Andalusien tun dies.

    Lieber Herr. Anken: ¿Habt Ihr jemals in Ungarn, Rumänien oder in Deutschland (wo auch viele Zigeuner leben), einen Sinti oder Roma por siguiriyas oder por Alegrías tanzen sehen?

    Wenn Ihr es mal erlebt haben solltet, dann bitte ich Euch, es mir mitzuteilen. Es wäre ein wunderschöner Moment für mein Archiv und auch für die Geschichte des Cante und für die Kunst des Flamenco.

 

 

Mira lo que es la ignorancia

que este flamenco de Frankfurt

me cuenta lo que no pasa.

 

 

 

                                                                    Francisco Prats Bernardi (Paco de Cái)