DER TANZ   

 

    Um über den Flamencotanz zu schreiben, muss man in der Geschichte zurückblicken und die erhaltenen Zeugnisse untersuchen, insbesondere die Schriften von Marcial, Juvenal, Plinius und Strabo, auch die Schriften über die Tänzerinnen von Gades. In diesem Zusammenhang stellt die Entdeckung von Ruinen in Mesas in Asta Regia (Mesa de Asta, ein Dörfchen 9 km von Jerez de la Frontera in der Provinz Cádiz) einen Fund von unschätzbarem historischem Wert dar.

    Es handelt sich um Scherben eines römischen Trinkgefässes, auf denen man die Abbildung von zwei Männern sehen kann. Einer von ihnen hat einen freien Oberkörper, tanzt mit über den Kopf erhobenen Händen und spielt crumastas beticas (Kastagnetten). Neben ihm erkennt man die Hände einer anderen abgebildeten Gestalt, die palmas klatscht. Die Archäologin Rosalia González Rodríguez datiert den Fund auf das erste oder zweite Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Nach dem Blick auf die Geschichte drängt sich die Frage auf:     

       

Sind die Tänzerinnen von Gades und die Tänergestalt aus Asta Regia Zeugnisse eines Ur-Flamenco?

 

    Juan de la Plata schreibt in seinem Gedicht über den Tänzer von Asta Regia:

 

“ Was für eine männliche Gestalt, was für ein flamenco, dieser Iberer in Rom,

und  tausendjähriger Tänzer; mit erhobenen Armen tanzt er und spielt seine Kastagnetten

seit weiss Gott mehr als neunzehnhundert Jahre!  

sein tanz ist gegenwärtig, ist atemberaubend anmutig und vollkommen,

versiegelt auf wohlgeformten Becher, den Patrizierlippen küssten,

so sie nippten die Mutter der Weine aus Ceret, nach Lagerung in alten Fässern,

dargeboten auf de schweren und reich gedeckten Tischen der Prätoren von Asta Regia.

Hier entspringt, mit dem ersten Tänzer, die Flamencotradition von Jerez.

Dies ist die Wurzel des ursprünglichsten aller Tänze, der so lang vergessen,

auf andalusischem Boden, in der alten Provinz Betica der römischen Caesaren.

War der Tänzer gar dem Töpfer nahe,

der liebevoll dies feine römische Gefäss zierte mit des Freundes Bild?

Wer kann uns sagen, ob er duch die Strassen des alten Ceret tanzte,

in den Tavernen,  in den Tempeln, auf den Festen? Wie war er wohl?

Wie hiess er, den ein turdetanisches Profil zierte?

Welche bulerías tanzte dieser Sohn aus Ceret auf den Festen,

Die dem Bacchus geweiht waren?”

 

    Zweifellos steckt etwas dahinter, aber seit jenen Tagen sind viele Jahre vergangen und müsste genau nachforschen, um die oben gestellte Frage zu beantworten. Ich bin kein Historiker, also werden wir diese Arbeit lieber den Historiker überlassen.

    Der baile enstand nach Ansicht der Autoren un Flamencologen gleichzeitig mit dem cante, wurde aber beinflusst durch die Schulen, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts existierten:Die Schule des Volkstanzens und die Schule des Bolero oder Kastagnettentanzes. Neben Elementen aus dem Theater und der Technikschule übten diese zwei Schulen durch die Methoden von Baltasar Rojas (Ende des 17. Jh.), Esquivel Navarro (1642), Ferriol (1745),  Minguet (1764) un Cirón (1820) einen künstlerischen Einfluss auf den Flamenco aus. Doch den Flamenco eigen war die Technik, seine unverwechselbare Charakteristik und die ihm eigene Expressivität. Ursprünglich war der Flamenco ein Folkloristischer Gruppentanz, suchte dann aber die Einsamkeit in der er mit Temperament und Improvisation seine eigentliche Gestalt fand, ohne seinen andalusischen Charakter zu verlieren.

    Im Jahre 1847 verfasste der in Málaga gebürtige Autor Estébanez Calderón (auch: El Solitario) in dem Sammelband “Escenas Andaluzas” die erste Milieubeschreibung über Flamencofeste un die Anfänge der Professionalisierung der bailaores. In diesem Dokument werden neben einer bekannten bailaora aus Cádiz, die Dolores hiess und zapateado tanzte, auch professionelle Flamencokünstler wie El Planeta, El Fillo, Juan de Dios, María de las Nieves, La Perla und Jerezano erwähnt:

 

“Nachdem der Romance verklungen war, trat La Perla mit ihrem Geliebten El Jerezano zum Tanz auf die Bühne. Er ebenso stattlich in der Person wie voller Eleganz und Prunk in der Kleidung. La Perla ohne Schultertuch und ganz in weiss. Sie begannen ihren Tanz im Klang der rondeña...

 

Das Publikum liess sich mitreissen, begeistern, kam fast in einem Rausch. Alle applaudierten, alle tobten. Von einer Seite baten sie lauthals um Zugaben:

 

“¡Hágame usted el bien parado!” , “¡eche usted más ajo al pique!”,“¡ movimientos y más movimientos!”.

 

    Unmöglich ist es, zu erklären oder zu beschreiben, welches Feuer, welche Lust und welche Taumel diese Feste ausmacht, auch lässt sich nicht in Worte fassen, welcher Esprit und welcher Witz überreichlich versprüht werden!”.

 

    Einige Jahre später, 1862, schilderte der Baron Charles Davillier, der mit dem Zeichner Gustave Doré fast ganz Spanien bereiste, die Charakteristika und das Ambiente der beliebten und häufigen Tänze seiner Zeit: Die sogenannten bailes de candil, ein Name der zur Bezeichnungder ersten Entwickngsstufe des Flamencotanzes beibehalten wurde. In Andalusiennennt man baile de candil die Tänze der einfachen Leute. Für gewöhnlich werden sie in den Tavernen und Dorfschänkken oder in ärmlichen Häusern getanzt. Die dürftige Beleuchtung gab diesen Veranstaltungen ihren Namen; denn meist wurde nur eine Kerze oder eine dieser öllampen aus Kupfer oder Eisen aufgestellt, wie sie in Andalusien und auch in anderen Gegenden Spaniens immer noch gebräuchlich sind. Neben den bailes de candil gab es für den Tanz auch noch sogenannte Akademien und  Salons, die einen doppelten Zweck erfüllten: Ausbildung und Aufführungen, die regelmässig stattfanden. Dort wurden im allgemeinen Volkstänze, Bolero und Kastagnetten-tanz unterrichtet, sogar ausländische Tänze wie Polka, Walzer, Schottisch, der amerikanische, der York und noch einige andere. In der Akademie in der Calle de la Pasión in Sevilla, die von Manuel Barrera geführt wurde, fand am 3.8.1850 ein  “Ensayo Público Extraordinario”(Ausseordentliche öffentliche Vorführung) statt. So hiessen diese Aufführungen in den Akademien, an denen Schülerinnen, aber auch die besten Bolerotänzerinnen der Stadt teilnahmen. Zu diese Anlässen wurden malagueña, redova, vito und jaleos de Cádiz getanzt.

    Fünf Monate später waren in einer ähnlichen Veranstaltung panaderos und seguidillas gitanas (nicht seguiriyas) Bestandteil des Programms, Tänze, die mit cante und toque begleitet wurde. Für den Flamenco ist die Gitarrenbegleitung unentbehrlich, den sie gibt den compás (Rhythmus) vor, wobei auch andere Elemente wie palmas, pitos und

Kastagnetten hinzukommen können. Hier tritt etwas zu Tage, das dem Flamenco schon recht nahe kommt.

    Im Goldenen Zeitalter des Flamenco (1860-1930) verbreiteten einige inzwischen zu Legenden gewordene Tänzer und Tänzerinnendurch Auftritte in den cafés cantantes den Flamenco in fast ganz Spanien: Miracielos, El Zarzillero, Manini, El Jorobao de Linares, Angustias Cruz, Isabel Jiménez, Antonio el Pintor, El Quique und der berühmte Raspao, der den zapateado de las campanas erfand, auch wenn sein Repertoire aus einer Mischung von Flamenco-, Bolero-, und Kastagnettentanz bestand. Gettanzt, gesungen und gespielt wurden im Goldenen Zeitalter soleá, juguetillos, charangas, polos, cañas, aranditos, panaderos, tonada de Redondo, romera, seguidillas gitanas, pregones, tonadas, livianas, serranas, zapateado, rondeñas und malagueñas.

    In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wuchs die Anzahl der Tänze. Gleichzeitig nahmen die Cafés cantantes einen Aufschwung, was wiederum dem Tanz zugute kam. Auch die Kleidung der Künstler un Künstlerinnen veränderte sich: die bata de cola (Kleid mit einer lange Schleppe), der Mantón de Manila (Manilatuch), Blumen, die ins Haar gesteckt wurden, der bretkrempige Hut- dies alles wurde zur Zeit der cafés cantantes eingeführt und machte auch äusserlich den Unterschied zum Bolero deutlich.

    In den lezten Jahren des 19. Jahrhunderts wurde aus dem Flamenco ein professionelles Schauspiel. Diese Veränderung ging auf den Erfolg der cafés cantantes zurück. Es war die Zeit der grossen Flamencokünstler. Die Stile verfestigten sich und es entstand eine Basis, auf der letzten Endes die Grundlage der neuen Musik- und Tanzrichtung wurde. Hier eine kurze Liste einzigartiger Künstler der Zeit der Jahrhundertwende: Antonio el de Bilbao, Frasquillo, Joaquin el Feo, Faico, Realito, Antonio Ramirez und Estampío.

    Unter den Frauen besonders. La Macarrona, Concha la Carbonera, La Camisona, Juana und Fernanda Antúnez, La Sordita, Pepa de Oro, Enriqueta la Macaca, La Malena, Rita Ortega, Concha la Roteña und La Quica.

    Alle diese Künstler stehen mit goldenen Lettern in der Geschichte des Flamenco, durch den Tanz ihrer Füsse; einige sind bedeutender als andere. Es wird erzählt, dass Antonio el de Bilbao, Frasquillo und andere encajes de bolillos  und äusserst schwierige escobillas machten. El Feo und sein Bruder Patricio führten redobles in die Fusstechniken ein und el Estampío war der perfekteste Interpret des zapateado, von dem wir heute noch wissen.

    Die Tänzerinnen, Frauen des Südens, begannen, die Ästhetik zu perfektionieren und riefen mit der Ausdrucksstärke ihrer Körper Aufsehen hervor; in der Armut ihrer Bewegungen fast wie aus lebendigem Ton geformte Amphoren aus Tartessos. Hier ein kurzer Textauszug über den damaligen Tanz:

 

“Sie erhebt sich mit majestätischer Wurde vom Stuhl, nimmt die Arme hoch über den Kopf, als wolle sie die Welt segnen, und beginnt mit schlangenartigen Bewegungen der Arme und Finger.”

 

    Die Anfänge des 20 Jahrhunderts sind die Blütezeit des Ballets. Die Choreographien und Stile wurden mehr geflegt, die heute bekannten Formen kamen auf. Während die rondeña, der zorongo und der polo verschwanden, entstanden neue Tänze:  zapateado, alegrías, farruca, tango, garrotin, soleares und tientos. Der Tanz wurde immer komplizierter: Die Fusstechniken wurden bereichert und variiert, der Paartanz setzte sich durch. Als Folge der Aufführung auf der Bühne, wurden die Tänze leichter und lebhafter. Man kann sagen, dass der russische Ballett-unternehmer Sergei Diaghilev sowie Antonia Mercé, La Argentina und spanische Nationalkomponisten wie Albéniz, Granados, Falla u. a. Das Ballett in Spanien einführten. 1914 fand im Theater Alhambra in London ertmals auf einer Theaterbühne eine Vorführung statt, auf der man die zwei Arten, Flamenco zu tanzen, sehen konnte. Es wurden von Antonia Mercé präsentiert und hiess “Die Verzauberung Sevillas”.  Aufgeführt wurden “El amor brujo” (Liebeszauber) von de Falla, Carmen von Bizet und María la Bella, La Malagueñita, Lolilla la Flamenca, Faico, Realito und Antonio el de Bilbao interpretierten farrucas, alegrías, bulerías.

   La Argentina tanzte weiterhin Ballett und Flamenco. Fenando el de Triana sagte über sie:

 

“Antonia Mercé war nicht nur die beste ballerina, sondern auch die beste bailaora. Sie konnte in den Tänzen mit Bata de Cola mit den besten bailaora wetteifern, ja sogar verbessern.”.

 

    Mit vielen bekannten Interpreten ging die Geschichte des baile ihren Lauf bis in unsere Tage. Sie alle aufzuzählen, wurde einige Seiten füllen, jedoch möchte ich einige der bekanntesten Künstler und Künstlerinnen des klassischen und Flamencotanzes nicht unerwähnt lassen: Pilar López, zugleich Ballerina und bailaora, La Cuenca, die als erste im kurzen Kleid tanzte, daneben Salud Rodríguez, La Hija del Ciego, La Rubia de Jerez, María Albaicín und Gabriela la del Garrotín. Weiter oben wurden schon einige andere erwähnt wie La Macarrona und, etwas später, die grosse Tänzerin Carmen Amaya, die mit dem Tanz ihrer Füsse ein tablao zum Beben bringen konnten.

    Auch von Männern hatte ich schon einige genannt. Man muss auf jeden Fall José Greco, Alejandro Vega, Roberto Ximénez, Frasquillo, El Viruta, Vicente Escudero, Antonio, Antonio Gades, Mario Maya, El Farruco und El Negro erwähnen. Einige Namen habe ich übergangen; es sind so viele, die es wert wären, dass man sich an sie erinnert, dass man immer ein para vergisst, die eigentlich zur Geschichte des Flamenco gehörten.

    Heute gibt es unter Männern und Frauen grosse Künstler. Die Jugend entwickelt den Klassischen und den Flamencotanz weiter. Deis beruht auf der grossen Liebe zum Flamenco und liegt auch an den Tanzschulen, die sich in ganz Spanien finden.Man muss auch die grosse Anhähgerschaft des Flamenco ausserhalb der Grenzen Spaniens sehen. In Japan, Frankreich oder Deutschland sind eine Menge aficionados, die darauf brennen, unsere Kunst in allen drei Erscheinungsformen, cante, baile und toque kennenzulernen und die am liebsten einige Provinzen unseres geliebten Spaniens in ihrem Land hätten.

 

                                                              Francisco Prat (Paco de Cái)

 

Publicado en la revista ¡anda! Número 6. Junio 1995. Y traducido al alemán por  Manfred Wälz.